Brandt und Grass – eine Freundschaft?
Abstrakt
Die beiden Nobelpreisträger Willy Brandt (Kanzler der Bundesrepublik von 1979 bis 1974, Friedensnobelpreis 1971) und Günter Grass (Literaturnobelpreis 1999) bildeten zwischen 1965 und 1974 eine Art Partnerschaft, wie es sie zwischen einem führenden Politiker und einem Intellektuellen in Deutschland zuvor und auch danach nicht gegeben hat. Viele Beobachter sprechen im Anschluss an Grass von Freundschaft. Der Autor untersucht die Partnerschaft genauer und stellt fest, dass man nur eingeschränkt von Freundschaft sprechen kann. Dabei werden vier Rollen herausgearbeitet, in denen Grass Brandt gegenübertrat: Grass war der der weltbekannt Schriftsteller, der Kritische Intellektuelle, der öffentlich Stellung bezieht und sich einmischt, der selbsternannte oder gebetene Ratgeber und der Unterstützer und Wahlkämpfer, der sich von 1961 bis 1972 persönlich für Brandt einsetzte. Beide Persönlichkeiten haben von dieser Partnerschaft enorm profitiert, Brandt durch den Wahlkämpfer und den z.T. grandiosen Schriftsteller, der bei vielen seiner großen Reden wichtige Formulierungen geliefert hat. Die Rolle des „Sprachfinders“ dürfte die ertragreichste Funktion von Grass gewesen sein. Aber auch der Schriftsteller hat von der Nähe zu Brandt an Renommee und Einfluss gewonnen. Da er ab 1973 jedoch immer stärker seine Funktion als Kritiker herauskehrte, kam die Beziehung in eine schwelende Krise. Er ging Brandt zunehmend auf die Nerven und er trug durch seine harsche Kritik auch zu seinem Amtsverzicht Brandts 1974 bei. In diesem Zusammenhang nannte Brandt seine Kritik „Klugscheißereien“. - Die Partnerschaft zwischen beiden hat stark zur „intellektuellen Selbstfindung der Bundesrepublik als westliche Demokratie“ in den 1960er Jahren (Klaus Schönhoven) beigetragen.